11. Was ist Masse?
Der Massenbegriff ist einer der wenigen, der nicht richtig in der Mechanik definiert ist. Es kann deshalb nicht die Aufgabe eines einführenden Mechanik Kurses zu sein, dieses Problem zu lösen....
Trotzdem möchte ich einige Ansätze kurz vorstellen. Für später wird das keine große Rolle spielen, ich habe es aber bewusst nicht als Zusatzseite geschrieben, weil ich schon meine, hier lohnt es sich genauer drüber nachzudenken, besonders wenn man die Welt verstehen möchte.
11.1 Es gibt nur träge Massen
Wir haben zwei wesentliche Eigenschaften von Massen kennen gelernt:
Massen sind träge und Massen sind schwer.
Da alle Körper beim freien Fall immer auf gleicher Höhe fallen, müssen diese beiden Eigenschaften zueinander proportional sein. Da man gleiche Einheiten nutzt, können wir sagen: Träge und schwere Masse eines Körpers sind gleich.
Ernst Mach hat die träge Masse als schwere Masse angesehen, also als eine Einwirkung aller Massen auf die Bewegung eines Körpers.
Damit scheint es letztlich nur eine träge Masse zu geben: Alle Massen sind träge Massen.
11.2 Es gibt nur schwere Massen
Albert Einstein hat nach 10-jähriger Bemühung einen Zusammenhang hergestellt zwischen Massen und der Anordnung der Koordinaten von Raum und Zeit. Das nennt man Metrik.
Er sagt: Materie verändert die Metrik von Raum und Zeit. Dies äußert sich als Schwerkraft.
Also gibt es nur schwere Massen.
Einstein hat sich hinreißen lassen, diese Metrikänderung durch eine Krümmung zu veranschaulichen.
Seit dem spricht man von der Raumkrümmung.
Dies ist aber nur eine mögliche Deutung der Änderung des Koordinatensystems, als der Metrik. Eine Deutung, die immer auch einen höher dimensionalen Raum erfordert, in den hinein ja unser Raum gekrümmt ist.
Etwas salopp gesagt:
Masse sagt dem Raum und der Zeit, wie sie sich zu krümmen haben. Der gekrümmte Raum und die gekrümmte Zeit sagen der Masse wie sich sich zu bewegen hat. Das nennen wir Gravitation.
Schaut euch mal dazu diese wunderbare Geogebra-Simulation an:
https://www.geogebra.org/m/ce9ef5g9
11.3 Masse als Maß für Materiemenge
Ganz oft wird der Begriff Masse gleichbedeutend mit Materiemenge angegeben.
Da taucht natürlich sofort wieder eine Frage auf: Was ist denn Materie?
Ist Materie ein Gegensatz zur Leere, also zum leeren Raum?
Gibt es überhaupt einen materiefreien, leeren Raum?
So richtig hilft uns das auch nicht weiter....
Ich möchte auch zeigen, dass die Gleichsetzung von Masse und Materiemenge im Alltag ganz gut funktioniert, aber physikalisch keinen Sinn macht:
11.3.1 Materiemengen im Makroskopischen
In unserer Alltagswelt können wir die Materiemenge eines Stoffes durch sein Volumen beschreiben. Je größer das Volumen eines Stoffes, desto mehr Materie muss vorhanden sein.
Wir beobachten aber, dass schnell bewegte Objekte eine größere (träge) Masse haben: Bewegte Massen sind also größer. Die (träge) Masse hängt von der Geschwindigkeit ab. Aber mehr Materie ist es nicht.
11.3.2 Materiemengen im Mikroskopischen
Hier ist es üblich, die Materiemenge durch das Zählen der Bestandteile, z.B. der Atome zu nehmen.
Das klappt aber auch nicht so richtig: Ein Deuteriumatomkern besteht aus zwei Nukleonen, die Masse ist aber kleiner als die Summe der beiden Teilmassen.
Übrigens: So erzeugt die Sonne ihre Strahlung. Denn die Massendifferenz zwischen den Bestandteilen aus denen Helium aufgebaut wird und der Massensumme der Bestandteile wird nach E = m*c² als Strahlungsenergie abgegeben. Die Masse der Sonnenstrahlung jeder Sekunde liegt bei 4,4 Millionen Tonnen. 4,4 Millionen Tonnen sind auch der Materieverlust unserer Sonne pro Sekunde.
11.3.3 Reine Energie
Lichtobjekte (Photonen) werden als reine Energie aufgefasst. Das ist erst einmal keine Materie. Trotzdem haben Photonen eine Masse, man kann sie wiegen und sie sind träge....
Auch elektrische Felder und Magnetfelder stellt man sich nicht als Materiemengen vor...sie haben aber eine Masse, sie sind schwer und träge...
Einstein hat den Zusammenhang zwischen Energie und Masse hergestellt: E = m*c² ist wohl die berühmteste Formel der Welt. Multipliziert man die Masse in kg mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit, so erhält man die Energie in Joule, die dieser Masse entspricht (und manchmal sogar komplett als Energie genutzt werden kann).
Aufgabe:
Die Sonne hat einen Materieverlust von 4,.4 Millionen Tonnen pro Sekunde. Zeige, dass dies der Leuchtkraft der Sonne von 4*10^26 J/sec entspricht.
11.3.4 Weakonen
Weakonen sind elementare Objekte, die für die Entstehung von Radioaktivität verantwortlich sind. Man bezeichnet sie auch als die Vermittler der schwachen Kraft.
Sie entstehen und vergehen, sind also nichts Dauerhaftes. Man kann sie somit nicht zählen, ihnen auch kein Volumen zuordnen. Trotzdem besitzen sie eine messbare (wenn auch sehr kleine Masse), immerhin die Masse eines größeren Atomkerns.
11.3.5 Woraus bestehen wir?
Ich denke, jede/r empfindet den eigenen Körper als etwas materieartiges. Wir bestehen aus Materie, haben eine Masse. Schließlich können wir uns ja wiegen, sogar unter Schwerelosigkeit. Und träge sind wir allemal....
Der größte Teil (weit über 99,9%) unserer Masse liegt in den Atomkernen der Atome unserer Körper.
Diese Atomkerne werden aber durch eine Kraft zusammen gehalten, die starke Kraft (die berühmte Kernkraft hängt damit zusammen). Zu dieser Kraft gehören auch Wechselwirkungsobjekte, also ein Feld. Man nennt sie die Gluonen.
Das ist ebenfalls nichts materieartiges, genau so wie bei den Weakonen.
Trotzdem wird 99% der Masse unserer Atomkerne, und letztlich dadurch unserer Körper, durch diese nicht materiellen Felder, also die Gluonen, bewirkt.
99% der Masse unseres Körpers bestehen also nicht aus dem, was wir als Materiemenge bezeichnen würden. Wir bestehen zum größten Teil nur aus dem Klebstoff, der die Atomkerne zusammenhält.
So "sieht" es im Inneren eines Protons aus, da ist fast keine Materie, bei der man von Materiemenge sprechen kann...und trotzdem könnt ihr euch wiegen...(CERN)
11.3.5 Effektive Masse
In der Festkörperphysik hat man festgestellt, dass Elektronen in Halbleitern und Metallen andere Massen besitzen als freie Elektronen. Man drückt sich da ein bisschen vor den Konsequenzen, in dem man den Begriff der effektiven, also der wirksamen Masse einführt. Die (effektive) Masse des Elektrons hängt von der mechanischen Spannung, der Temperatur und vieler anderer Größen des Halbleiters oder Metalls ab. Und nur die kann man messen!
Die Elektronenmasse scheint also durch die Umgebung, in der sich das Elektron befindet, bestimmt zu sein.
Eine tolle Idee: Dann würde ich abnehmen können, wenn ich nur in eine andere Wohnung ziehe...oder das Fenster in meiner aufmache...Hört sich strange an? Bei Elektronen geht so was...
11.3.6 Fazit
Ihr seht, wie komplex der Massebegriff ist...Kein Wunder, dass sich da noch niemand so richtig an eine grundlegende Definition herangewagt hat.
Mein Tip:
Bleibt bei dem, was ihr euch vorstellt. Damit kommt ihr gut klar, egal was es ist!
Im nächsten Post werde ich das Problem ein bisschen lösen...Ich stelle euch den nobelpreisgekrönten Higgs-Mechanismus vor. Letztlich werden wir annehmen, dass es nur träge Massen gibt und dass Masse keine Eigenschaft ist, die man einem Körper zuordnet (also keine Materiemenge) sondern durch die Wechselwirkung mit der umgebenden Welt entsteht.