Samstag, 25. Dezember 2021

P 60: Upps, mein Körper ist nicht materiell

 11. Was ist Masse?

Der Massenbegriff ist einer der wenigen, der nicht richtig in der Mechanik definiert ist. Es kann deshalb nicht die Aufgabe eines einführenden Mechanik Kurses zu sein, dieses Problem zu lösen....

Trotzdem möchte ich einige Ansätze kurz vorstellen. Für später wird das keine große Rolle spielen, ich habe es aber bewusst nicht als Zusatzseite geschrieben, weil ich schon meine, hier lohnt es sich genauer drüber nachzudenken, besonders  wenn man die Welt verstehen möchte.

11.1 Es gibt nur träge Massen

Wir haben zwei wesentliche Eigenschaften von Massen kennen gelernt:

Massen sind träge und Massen sind schwer.

Da alle Körper beim freien Fall immer auf gleicher Höhe fallen, müssen diese beiden Eigenschaften zueinander proportional sein. Da man gleiche Einheiten nutzt, können wir sagen: Träge und schwere Masse eines Körpers sind gleich.

Ernst Mach hat die träge Masse als schwere Masse angesehen, also als eine Einwirkung aller Massen auf die Bewegung eines Körpers.

Damit scheint es letztlich nur eine träge Masse zu geben: Alle Massen sind träge Massen.

11.2 Es gibt nur schwere Massen

Albert Einstein hat nach 10-jähriger Bemühung einen Zusammenhang hergestellt zwischen Massen und der Anordnung der Koordinaten von Raum und Zeit. Das nennt man Metrik.

Er sagt: Materie verändert die Metrik von Raum und Zeit. Dies äußert sich als Schwerkraft.

Also gibt es nur schwere Massen.

Einstein hat sich hinreißen lassen, diese Metrikänderung durch eine Krümmung zu veranschaulichen.

Seit dem spricht man von der Raumkrümmung.



Dies ist aber nur eine mögliche Deutung der Änderung des Koordinatensystems, als der Metrik. Eine Deutung, die immer auch einen höher dimensionalen Raum erfordert, in den hinein ja unser Raum gekrümmt ist.

Etwas salopp gesagt: 

Masse sagt dem Raum und der Zeit, wie sie sich zu krümmen haben. Der gekrümmte Raum und die gekrümmte Zeit sagen der Masse wie sich sich zu bewegen hat. Das nennen wir Gravitation.

Schaut euch mal dazu diese wunderbare Geogebra-Simulation an:

https://www.geogebra.org/m/ce9ef5g9

Raumkrümmung

11.3 Masse als Maß für Materiemenge

Ganz oft wird der Begriff Masse gleichbedeutend mit Materiemenge angegeben.

Da taucht natürlich sofort wieder eine Frage auf: Was ist denn Materie?

Ist Materie ein Gegensatz zur Leere, also zum leeren Raum?

Gibt es überhaupt einen materiefreien, leeren Raum?

So richtig hilft uns das auch nicht weiter....

Ich möchte auch zeigen, dass die Gleichsetzung von Masse und Materiemenge im Alltag ganz gut funktioniert, aber physikalisch keinen Sinn macht:

11.3.1 Materiemengen im Makroskopischen

In unserer Alltagswelt können wir die Materiemenge eines Stoffes durch sein Volumen beschreiben. Je größer das Volumen eines Stoffes, desto mehr Materie muss vorhanden sein.

Wir beobachten aber, dass schnell bewegte Objekte eine größere (träge) Masse haben: Bewegte Massen sind also größer. Die (träge) Masse hängt von der Geschwindigkeit ab. Aber mehr Materie ist es nicht.

11.3.2 Materiemengen im Mikroskopischen

Hier ist es üblich, die Materiemenge durch das Zählen der Bestandteile, z.B. der Atome zu nehmen.

Das klappt aber auch nicht so richtig: Ein Deuteriumatomkern besteht aus zwei Nukleonen, die Masse ist aber kleiner als die Summe der beiden Teilmassen.

Übrigens: So erzeugt die Sonne ihre Strahlung. Denn die Massendifferenz zwischen den Bestandteilen aus denen Helium aufgebaut wird und der Massensumme der Bestandteile wird nach E = m*c² als Strahlungsenergie abgegeben. Die Masse der Sonnenstrahlung jeder Sekunde liegt bei 4,4 Millionen Tonnen. 4,4 Millionen Tonnen sind auch der Materieverlust unserer Sonne pro Sekunde.

11.3.3 Reine Energie

Lichtobjekte (Photonen) werden als reine Energie aufgefasst. Das ist erst einmal keine Materie. Trotzdem haben Photonen eine Masse, man kann sie wiegen und sie sind träge....

Auch elektrische Felder und Magnetfelder stellt man sich nicht als Materiemengen vor...sie haben aber eine Masse, sie sind schwer und träge...

Einstein hat den Zusammenhang zwischen Energie und Masse hergestellt: E = m*c² ist wohl die berühmteste Formel der Welt. Multipliziert man die Masse in kg mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit, so erhält man die Energie in Joule, die dieser Masse entspricht (und manchmal sogar komplett als Energie genutzt werden kann).

Aufgabe:

Die Sonne hat einen Materieverlust von 4,.4 Millionen Tonnen pro Sekunde. Zeige, dass dies der Leuchtkraft der Sonne von 4*10^26 J/sec entspricht.

11.3.4 Weakonen

Weakonen sind elementare Objekte, die für die Entstehung von Radioaktivität verantwortlich sind. Man bezeichnet sie auch als die Vermittler der schwachen Kraft.

Sie entstehen und vergehen, sind also nichts Dauerhaftes. Man kann sie somit nicht zählen, ihnen auch kein Volumen zuordnen. Trotzdem besitzen sie eine messbare (wenn auch sehr kleine Masse), immerhin die Masse eines größeren Atomkerns.

11.3.5 Woraus bestehen wir?

Ich denke, jede/r empfindet den eigenen Körper als etwas materieartiges. Wir bestehen aus Materie, haben eine Masse. Schließlich können wir uns ja wiegen, sogar unter Schwerelosigkeit. Und träge sind wir allemal....

Der größte Teil (weit über 99,9%) unserer Masse liegt in den Atomkernen der Atome unserer Körper.

Diese Atomkerne werden aber durch eine Kraft zusammen gehalten, die starke Kraft (die berühmte Kernkraft hängt damit zusammen). Zu dieser Kraft gehören auch Wechselwirkungsobjekte, also ein Feld. Man nennt sie die Gluonen.

Das ist ebenfalls nichts materieartiges, genau so wie bei den Weakonen.

Trotzdem wird 99% der Masse unserer Atomkerne, und letztlich dadurch unserer Körper, durch diese nicht materiellen Felder, also die Gluonen,  bewirkt.

99% der Masse unseres Körpers bestehen also nicht aus dem, was wir als Materiemenge bezeichnen würden. Wir bestehen zum größten Teil nur aus dem Klebstoff, der die Atomkerne zusammenhält.

So "sieht" es im Inneren eines Protons aus, da ist fast keine Materie, bei der man von Materiemenge sprechen kann...und trotzdem könnt ihr euch wiegen...(CERN)


11.3.5 Effektive Masse

In der Festkörperphysik hat man festgestellt, dass Elektronen in Halbleitern und Metallen andere Massen besitzen als freie Elektronen. Man drückt sich da ein bisschen vor den Konsequenzen, in dem man den Begriff der effektiven, also der wirksamen Masse einführt. Die (effektive) Masse des Elektrons hängt von der mechanischen Spannung, der Temperatur und vieler anderer Größen des Halbleiters oder Metalls ab. Und nur die kann man messen!

Die Elektronenmasse scheint also durch die Umgebung, in der sich das Elektron befindet, bestimmt zu sein.

Eine tolle Idee: Dann würde ich abnehmen können, wenn ich nur in eine andere Wohnung ziehe...oder das Fenster in meiner aufmache...Hört sich strange an? Bei Elektronen geht so was...

11.3.6 Fazit

Ihr seht, wie komplex der Massebegriff ist...Kein Wunder, dass sich da noch niemand so richtig an eine grundlegende Definition herangewagt hat.

Mein Tip:

Bleibt bei dem, was ihr euch vorstellt. Damit kommt ihr gut klar, egal was es ist!

Im nächsten Post werde ich das Problem ein bisschen lösen...Ich stelle euch den nobelpreisgekrönten Higgs-Mechanismus vor. Letztlich werden wir annehmen, dass es nur träge Massen gibt und dass Masse keine Eigenschaft ist, die man einem Körper zuordnet (also keine Materiemenge) sondern durch die Wechselwirkung mit der umgebenden Welt entsteht.


Mittwoch, 22. Dezember 2021

Weihnachtswünsche

 Ich wünsche allen ein frohes Fest, einen guten Rutsch und vor allem ein gesundes Jahr 2022.

Ich werde auch in den Ferien wieder den ein oder anderen Post hochladen, nach den Ferien wird es dann mit dem Schulstoff der Newtonschen Axiome weitergehen.



Montag, 20. Dezember 2021

P 59: Es stimmt wohl!

 10.6 Experimentelle Überprüfung

Alle Körper fallen (bei Vernachlässigung der Reibung) gleich schnell, unabhängig von ihrer Masse und Zusammensetzung.

Das kann nur funktionieren, wenn sich die Wirkung von Schwere und Trägheit ausgleichen.

Und genau das muss und kann auch überprüft werden.

Galilei hat dies 1638 schon bei einfachen Fallversuchen gemacht, die Abweichung von der Gleichheit von schwerer und träger Masse musste unter 0,1% liegen.

Der Ungar Eötvös  (1848-1919) hat wesentlich genauere Messungen mit Torsionswaagen durchgeführt, die erste 1889, dann von 1906 bis 1909.

Zum Schluss konnte er Abweichungen bis zu einem Milliardstel  ausschließen. Insbesondere hat er auch Körper aus verschiedenen Materialien verglichen.





Letztlich müssen zum Testen Gegenstände sowohl einer Schwerkraft als auch einer Beschleunigung ausgesetzt sein.

Irwin I. Shapiro (geb. 1929)  hat dies  1976 mit dem ganzen Mond durchgeführt. Die Apollo-Astronauten hatten mehrere Laserreflektoren  auf dem Mond zurückgelassen. Mit Hilfe von Laserstrahlen konnte man sehr genau die (Fall-)Bewegung des Mondes um die Erde untersuchen (Lunar Laser Ranging).



Mit einer Genauigkeit von einem 10 Billionstel stimmte die träge und schwere Masse des Mondes überein.

Der von Apollo 11 zurückgelassene erste Laserreflektor (NASA)

Noch präziser geht das in der Erdumlaufbahn innerhalb eines Satelliten.

Gegenstände dort werden von der Erde angezogen (da spielt ihre schwere Masse eine Rolle), gleichzeitig werden sie aber auf der Bahn um die Erde "herumgeschleudert". Dabei spielt die "Fliehkraft", also die Trägheit und somit die träge Masse eine Rolle. Wenn beide Massen gleich groß sind, dann müssen sich die Wirkungen aufheben und Gegenstände, die z.B. ineinander verschachtelt sind, bewegen sich nicht relativ zueinander.

      Bild: DLR

Mit dem europäischen Satelliten MICROSCOPE konnte man solche Relativbewegungen ausschließen und das Verhältnis von schwerer und träger Masse als 1,0 mit einer Genauigkeit von einem Billiardstel feststellen.

Mit Kreisbewegungen in Umlaufbahnen werden wir uns noch beschäftigen.

Also: Träge und schwere Masse von allen Gegenständen sind wirklich gleich.

Auch wenn wir es nicht so richtig verstehen, es ist so.

Und schon Einstein hat vor über 100 Jahren gesagt: Wenn es so ist, dann akzeptieren wir es und schauen mal, was wir daraus folgern können....

Dazu kommen wir im übernächsten Post...

Im nächsten Post möchte ich mal einen Ausblick auf die Art und Weise geben, mit der unsere Bausteine nach den Erkenntnissen der aktuellen Physik zu ihrer Masse kommen. Und da werden wir sehen, es gibt eigentlich nur träge Massen....

Viele haben vielleicht schon vom Higgs-Teilchen gehört...

Anmerkung: Normalerweise wird im Physikunterricht nur gesagt, dass alle Körper gleich schnell fallen.

In den letzten und nächsten Posts seht ihr, wieviel hochaktuelle Physik und wieviel noch offenen Fragen dahinter stehen.

Ich finde das wesentlich interessanter und lernenswerter als die Formeln für die Fallgesetze...


Sonntag, 19. Dezember 2021

P 58: Warum alle Körper gleich schnell fallen

 10.5: Was verbindet Trägheit und Schwere?

Wir denken uns einen Körper A, der eine dreimal so große schwere (!) Masse hat wie ein Körper B.

Überlegt euch einmal, was das bedeutet?

Welcher der beiden Körper müsste schneller nach unten fallen?

Nun wissen wir aber, dass alle Körper gleich schnell fallen (bei Vernachlässigung des Luftwiderstandes).

Seht euch noch einmal Post 27 und vor allem Post 28 an.

Was müssen wir also über die träge (!) Massen der beiden Körper A und B annehmen?

Ein Körper, der dreimal so schwer wie ein anderer ist, wird in der Tat dreimal so stark von der Erde angezogen. Aber wenn er dann auch dreimal so träge ist, dann setzt er sich auch entsprechend langsamer in Bewegung.

Die Wirkung von träger und schwerer Masse auf die Fallbewegung gleichen sich also aus:

Träge und schwere Masse sind zueinander proportional.

Man hat sich entschieden, beide Massenformen durch das Kilogramm zu beschreiben. Und nur deshalb, weil man die gleiche Einheit verwendet, kann man sagen:


Träge Masse und schwere Masse aller Körper sind gleich.


Dann redet man irgendwann nur noch von der Masse eines Körpers und vergisst, dass eigentlich sehr wichtige Unterschiede zwischen Trägheit und Schwere existieren.

Weil eben alle Körper, unabhängig von ihrer Masse, gleich schnell fallen, fallen ein Hammer und eine Feder gleich schnell, fällt der Mond genau so schnell auf die Erde wie ein Stein (am Ort des Mondes) und auch in der ISS fallen alle gemeinsam runter...das spüren sie dann als Schwerelosigkeit...



Warum die Trägheit eines Körpers etwas mit seinem Gewicht zu tun hat, und zwar so, dass sich die Wirkungen letztlich kompensieren, ist unverstanden.

1883 hat Ernst Mach (1838 - 1916) einen Versuch der Erklärung vorgenommen.

Er kritisierte die Existenz eine absoluten Raumes, so wie Newton es für seine Mechanik angenommen hat. Im Kosmos kommen nur Bewegungen eines Körpers relativ zu allen anderen Körpern des Universums vor. Ein Körper wird von all diesen anderen angezogen, und diese Anziehung spürt man als Trägheit.

In einem vollständig leeren Universum gäbe es keine Trägheit. Da somit die träge Masse nach Mach auch durch die Gravitation entsteht, ist die Proportionalität von schwerer und träger Masse nicht verwunderlich.

Einstein hat 1918 diese Idee als das Machsche Prinzip bezeichnet. Er wurde dadurch zur Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie  angeregt.

Die Machsche Idee ist aber umstritten, aber so richtig widerlegt wurde sie auch  nie.


Letztlich bedeutet es, dass die Wirkung von Massen das Ergebnis einer Wechselwirkung ist, und genau so wird heute erklärt, wie Elementarteilchen zu ihrer Masse kommen.

Das werden wir bald genauer (und vertiefter auf einer Zusatzseite) kennenlernen.

Aber erst bleiben noch zwei Fragen offen:

Wie genau kann man die Gleichheit von schwerer und träger Masse experimentell bestätigen?

Und ist Masse eine Maß für die Menge an Materie?